Nur Bares ist Wahres? – Kapitalismus im Rollenspiel

„Und was springt für uns dabei raus?“ Das war eine Frage, die ich als Spieler InCharacter jahrelang bedenkenlos gestellt habe. Gemeint war immer: Gold. Seien es Dukaten in Aventurien (DSA) oder Goldpieces (DnD), nur Bares ist Wahres! Oder? Trägt man damit nicht auch den ungebremsten Kapitalismusgedanken in ungesundem Ausmaß in das Pen&Paper-Hobby, spielt dort Verhaltensweisen ab, die durch Erziehung, Vorleben und Zeitgeist derart verinnerlicht wurden, dass sie als „normal“ empfunden werden? Ist das ein Fact, den es zu hinterfragen gilt, oder ist Geld als Lohn der Mühen in Fantasywelten unproblematisch?

In diesem Blogpost möchte ich euch meine Gedanken zur kapitalistischen Spielmechanik aufzeigen, warum Geld allein auch in Fantasywelten nicht glücklich machen sollte und einen ersten Ansatz eines neuen Weges.

Die kapitalistische Spielmechanik

Die Geburtsstunde der Rollenspiele liegt schon etliche Jahrzehnte zurück und stammt aus einer Blütezeit des Kapitalismus. Hier ging es für den Kapitalismus bergab mit Rückenwind, jene Zeit, deren Generation liebevoll mit „Boomer“ bezeichnet wird. Alles schien möglich, das „höher, schneller, weiter“ wurde fester Bestandteil des Denkens und Handelns. Als legitimer unternehmerischer Purpose etablierten sich zwei Dinge: Wachstum und „mehr“. Mehr Umsatz, mehr Gewinn, the sky is the limit. Funktionieren kann das nur mit (immer mehr) Konsum. „Geiz ist geil“ hieß ein Werbeslogan aus den 90ern, der mir selbst noch gut in Erinnerung ist. Mit dem kapitalistischem Denken kam noch Egoismus dazu: Was bringt mir das Ganze? Was ist mein größter Vorteil? Wo spare ich am Meisten? Heute, einige Jahrzehnte später, erkennen wir, dass jener eingeschlagene Weg uns nicht in eine sorgenfreie Zukunft führt. Wir erkennen, dass wir wieder ein ganzes Stück bergauf müssen, und das wird schwer. Das Erwachen aus den berauschten Boomerjahren ist ernüchternd und wird zur großen Aufgabe von unserer und kommender Generationen. Aber was hat das jetzt alles mit Rollenspiel zu tun?

Mit dem Siegeszug von Rollenspielen an die Tische der heimischen Gamenights wuchs die Anzahl an bespielbaren Systemen und Welten deutlich an. Autor:innen buhlen sowohl mit faszinierenden Settings und/oder kreativen Regelsystem um Exklusivität. Aber eines ist sehr oft InGame immer dasselbe: Abenteuer gegen Geld. Spielsysteme aus jener Zeit und sicherlich auch noch neuere geben sich alle Mühe, bei der Charaktererstellung, Spiel/Würfelmechanik oder mit innovativen Erzählspielregeln zu glänzen, aber letztendlich müssen auch weiterhin die imaginären Münzen blinken, wenn es darum geht, sich ins Abenteuer zu stürzen. Und selbst wenn einmal eine andere Art der Entlohnung erfolgt, seitenweise Einkaufstabellen mit knallharten Angaben von Goldmünzen und Silberstücken signalisieren, dass eben doch nur Bares Wahres ist. Von einem wundervollen Ehrenbankett nach erfolgreicher Abenteuerbewältigung oder bei „XY etwas gut zu haben“ kann man sich als wackere Reckin keine bessere Rüstung, Waffen oder Ausrüstung kaufen. Auch in den Fantasywelten gehen wir shoppen und konsumieren. Was bleibt also anderes, als nach Gold und Silber fragen zu müssen, wenn es ins Abenteuer gehen soll?

Je nach Story mag sicherlich hin und wieder eine monetäre Bezahlung stimmig sein. Ebenso mag es zum Rollenspiel und Background für manch eine erdachte Spielfigur passen. Aber wenn es bei der Entscheidung, NPC in Not zu helfen, in erster Linie darum geht, vielmehr systembedingt gehen muss, wie liquide jene Leute sind, kommen mir mittlerweile Zweifel. Ja, leider erst mittlerweile, denn über zwei Jahrzehnte habe ich die indoktrinierte kapitalistische Denkweisen des realen Lebens ganz selbstverständlich in das Spiel übertragen. Der Kapitalismus hat uns viel Wohlstand gebracht (uns, wohlgemerkt, nicht der gesamten Welt …), den ich auch sehr zu schätzen weiß, aber dass es in dieser Manier nicht weitergehen kann, wird immer deutlicher. Sollte da nicht auch die Spiel- und Denkweise in Fantasywelten hinterfragt werden, wenn man sich wie ich in jenen fiktiven Welten oft und regelmäßig aufhält? Ihr ahnt es: ja, ich finde schon. Wer lange Jahre Rollenspieler:in ist, hat eine feste Schnittstelle in die phantastischen Welten und verbringt dort einen nennenswerten Teil der Freizeit, manche sogar auch Arbeitszeit. Jede/r langjährige Rollenspieler:in wird berichten, dass Pen&Paper das eigene Leben und die Persönlichkeit geprägt und verändert hat. Rollenspiel könnte also unser Katalysator sein, in ein neues Denkmuster zu kommen und dabei zu bleiben. Neben dem noblen Entschluss müssen auch Taten folgen. Was gibt es für Möglichkeiten?

Geld allein macht nicht glücklich – auch nicht in Fantasywelten

Wie kann man jetzt die kapitalistische Struktur eines geliebten Systems aufbrechen? Es erfordert von der Spielleitung eine gewisse kreative Anstrengung, hier an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen. Die Macht der Preislisten muss entschärft werden, damit auch Raum für etwas anderes ist. Es muss auch nicht zwingend notwendig sein, alles Gold und Geschmeide zu verteufeln und zum Namenlosen, den Niederhöllen oder in den Outer Rim zu verbannen. Wie so oft im Leben liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Auf Münzen oder Credits muss nicht vollends verzichtet werden, das Entscheidende ist ihre Alleinherrschaft und die damit verbundene Bedeutung in der Spielwelt. In phantastischen Welten bewegen wir uns in unterschiedlichsten Settings, sei es Horror, Sci-Fi, oder mit Fabelwesen, und können so manchen lästigen Zwängen der Realität entfliehen und sie getrost außer Acht lassen. Wirtschaftskreisläufe müssen nicht lückenlos nachverfolgbar sein sondern sind eben „einfach irgendwie da“. Kurz zurück ins reale Leben: Macht Geld allein glücklich? Bis zu einem gewissen Betrag stimmt das tatsächlich (je nach Lebensumstände/Wohnort ca. 60.000 € Jahresgehalt), jedoch bringt ab dann mehr Geld nicht automatisch auch mehr Glück, sondern manchmal sogar das Gegenteil. Schätzen wir in der Realität nicht auch ein lobendes Wort, eine helfende Hand, angenehme Gesellschaft oder klugen Rat? Ist das nicht oft mindestens genauso wertvoll wie Geld, manchmal sogar „unbezahlbar“?

Was mich anbelangt: Ja, absolut. Ich war nach einem Umzug sehr froh über meine Freunde, die mit mir einen Samstag lang die alte Wohnung gestrichen haben. Ich schätze es, dass Leute Zeit mit mir verbringen möchten, sei es zum Spielabend oder in einer Bar. Ich freue mich, wenn ich zu bedeutenden Anlässen eingeladen werde, weil ich dem Einladenden wichtig bin. Reich, aber allein zu sein, ist eine furchtbare Vorstellung. Rückkehr in die unzähligen Welten der Phantastik: Warum sollte man hier als starke Kriegerin, schlauer Magier oder abgehärtete Jägerin nur und ausschließlich auf Münzen wertlegen? Wenn die Notwendigkeit und der Benefit der zuvor genannten Dinge jedoch nicht zu spüren sind, wird leicht vergessen, wie man in der Realität empfindet. Was also tun?

Wege aus dem Rollenspielkapitalismus

Mit diesem Absatz haben wir jetzt meinen Ereignishorizont dieses Themas erreicht. Erst vor wenigen Wochen bin mir dieses Zustands erst richtig bewusst geworden und möchte nun sowohl als Spieler als auch Spielleiter Dinge ausprobieren, die einen neuen Weg einläuten. Der Weg ist auch hier das Ziel, denn es wird vermutlich nicht das eine ultimative Ding geben, mit dem sich alles auflösen lässt, sondern Etappenziele, Fehlversuche und Experimente werden als Wegmarken zurückbleiben. Dennoch möchte ich nicht völlig ohne ersten konkreten Ansatz diesen Blogpost beenden.

Viele ausgearbeitete Dinge wie Preislisten knallhart über Bord zu werfen, bedeutet reichlich Arbeit für die Spielleitung, die womöglich nicht jeder investieren kann und will. Zudem ist wie erläutert ein völliges Abwenden von Dukaten, Dublonen und Credits nicht zwingend erforderlich. Wie wäre es stattdessen mit einer zweiten „Währung“? In einem ersten Kreativitätsanfall möchte ich sie Social Benefit nennen. Dabei soll es sich um all jene und ähnliche Dinge handeln, die ich zuvor aufgezählt habe, natürlich in die jeweilige Spielwelt übertragen. Die Wirtin einer Taverne könnte für eine Woche Kost & Logis anbieten, wenn die Gruppe sich bereit erklärt, ihren völlig vermüllten Keller auszumisten (und wer weiß, womöglich wird dabei eine alte Schatzkarte gefunden …). Die Schmiedin könnte neben ein paar Münzen Bezahlung auch die Gruppe zu sich nach Hause einladen, damit ihre Familie spannende Abenteuergeschichten zu hören bekommen (und beispielsweise von einem streng gehüteten Familiengeheimnis erfahren, dem noch niemand nachgegangen ist …). Das auf der Straße lebende magiebegabte Mädchen zeigt der Gruppe gerne den Weg zum versteckten Tempel, wenn die Held:innen mit dem Mädchen zur örtlichen Zauberschule gehen und als Fürsprechende auftreten (das Mädchen würde man ja gerne aufnehmen, nur leider wird die Akademieleiterin seit einigen Tagen bei der Überquerung eines gefährlichen Bergpasses vermisst …). Ihr seht, es kann nicht nur das Entlohnungssystem modifizieren, sondern auch wunderbar neue Plothooks liefern. Social Benefit soll in einem ersten Versuch auf einen Mix aus Geld und Gefallen herauslaufen. Dabei begegnen sich diese beiden Zahlmittel mindestens auf Augenhöhe, der erfüllte Gefallen könnte womöglich stärker wiegen.

„Und wenn sie nicht gestorben sind, dann shoppen sie noch heute.“

Nein, eben genau das wollen wir nicht. Sollen unsere Spielfiguren für ihren puren Reichtum oder ihre Taten bekannt sein? Ihre Raffgier oder beeindruckende Persönlichkeit? Errungenschaften und Verdienste für das Königreich oder Prunkschloss mit vollen Schatztruhen? In der realen Welt stehen wir dem Kapitalismus ein Stück weit ohnmächtig gegenüber. Eigene Verhaltensweisen sind stellenweise veränderbar, sich aber dem System deutlich zu entziehen erscheint ebenso schwer wie es als Einzelperson aus eigener Kraft zum Besseren zu wandeln. In unseren Spielwelten sieht es anders aus: Hier ist alles möglich. Nur wenige Worte erschaffen Kontinente, Geschichten, Abenteuer – und Geschäftssysteme. Hier können wir Dinge verändern und sollten nicht nur neue Abenteuer und Spielfiguren ersinnen, sondern unsere Kreativität auch auf den Geldbereich unseres Hobbys ausweiten. Wir sollten verinnerlichen, dass Wissen teilen, eine helfende Hand und Gemeinschaft der wahre Lohn sind, und die ein oder andere Münze nur erfreuliches Beiwerk. Wer wenig braucht, muss nicht viel verdienen. Es muss nicht (immer) „mehr“ sein, sondern (nur) „genug“. Geiz ist nicht geil, sondern Genügsamkeit, Empathie und Hilfsbereitschaft sind es. Lasst uns versuchen, das und noch viel mehr in die Fantasywelten zu tragen und dort zu leben. Es kann uns verändern, als Rollenspieler:in und als Mensch im Alltag.

Wie ergeht es euch mit dem Thema Kapitalismus im Rollenspiel?
Nehmt ihr hier etwas wahr oder wundert ihr euch, wovon ich gerade gesprochen habe?
Was haltet ihr von so etwas wie Social Benefits im Spiel?
Schreibt es mir gerne in den Kommentaren! 🙂

Alle Bilder stammen von Pixarbay.

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